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Die Geschichte der Neufundlandfischer von Cancale

La grande pêche

La Houle, das war nicht nur der Hafen für die Schiffe, die in der Bucht oder in Küstennähe auf Fang gingen, sondern über vier Jahrhundete hinweg vor allem auch die Heimat der großen terre-neuviers (Neufundlandschiffe), mit denen über weite Teile des Jahres der Kabeljaufang vor Neufundland (Terre-Neuve) betrieben wurde. Die Neufundlandfischerei, la grande pêche, war über lange Zeit eine der wichtigsten Betätigungen der Cancalaiser Fischer, die auch im Hafen für Arbeitsplätze sorgte und der Stadt und ihren Einwohnern ein gesichertes Einkommen bot.

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Die Stella-Marie, ein Neufundlandschiff, im Hafen von La Houle.
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Die Anfänge

Schon gut ein halbes Jahrhundert vor der Entdeckung Kanadas durch Jacques Cartier im Jahr 1594 begannen Cancalaiser Fischer den außergewöhnlichen Fischreichtum der Gewässer vor den Küsten Neufundlands für sich zu entdecken.

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Der dort in großen Mengen gefangene Kabeljau konnte trotz der mehrere Monate dauernden Fangfahrten und der weiten Entfernung zwischen den Fanggründen und der bretonischen Küste als Klipp- oder Stockfisch gut konserviert in die Heimat der Fischer gebracht werden, um dort schnell zu einem Hauptbestandteil der täglichen Nahrung zu werden.

Aufbruch zum Fang

Der Höhepunkt der Cancalaiser Neufundlandfischerei fiel in das 19. und frühe 20. Jahrhundert, als über 40 Schiffe Jahr für Jahr von La Houle aufbrachen, um die kalten und nebligen Fanggründe fern der Heimat aufzusuchen.

Die Fangsaison reichte von März bis Oktober, was dazu führte, daß ein großer Teil der männlichen Bevölkerung von Cancale die Frühlings- und Sommermonate auf ihren Schiffen vor Neufundland zubrachte. An den Tagen, an denen sie mit ihren Schiffen ausliefen, blieben ihre Frauen und Familien mit ihrer Sorge um die Rückkehr der Ehemänner, Väter und Söhne zurück.

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Der Cancalaiser Dreimaster "Bretagne".
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Ängste

Diese Rückkehr war alles andere als gewiß. Jahr für Jahr forderte die grande pêche, der Hochseefischfang, zahlreiche Opfer, an die noch heute die Gedenktafel mit den Namen der vermißten und ertrunkenen Seemänner in der Kirche Saint Méen erinnert. Manch ein Schiff, das mit seiner Besatzung in der Hoffnung auf einen einträglichen Fang ausgelaufen war, verschwand in den Nebelbänken vor Neufundland. Manch ein Seemann fand sein kaltes Grab in den Tiefen der eisigen Gewässer.

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Es gab kaum eine gefährlichere Tätigkeit als diejenige der Neufundlandfischer, und dennoch war sie eine Notwendigkeit, von der ein großer Teil der Cancalaiser Familien lebte, und der sich über Generationen Väter und Söhne mit der selben Selbstverständlichkeit stellten.

Vorbereitungen

Wenn sich die Schiffe je nach den Windverhältnissen ungefähr zwei bis sechs Wochen nach ihrem Auslaufen aus dem Hafen von La Houle der Küste von Neufundland näherten, galt es zunächst mit Hilfe von Körben die Schnecken (bulots) vom Grund des Meeres zu holen, die als Köder für den Kabeljaufang benötigt wurden. Ihr Fleisch, für das der Kabeljau eine besondere Vorliebe besitzt, wurde auf die Haken der Fangleinen gespießt.

Matrosen beim Bestücken der Fangleinen.
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Der Fang

Beim Erreichen der Fanggründe wurden die kleinen Beiboote, die doris, ausgesetzt, die mit jeweils zwei Männern besetzt waren. Von ihnen aus wurden am Abend die Fangleinen gesetzt und mit der kostbaren Last an ihren Haken am nächsten Morgen wieder eingeholt. Dieser Teil des Fangs, bei dem sich die kleinen Boote so weit von den Schiffen entfernten, daß oftmals kein Sichtkontakt mehr bestand, war der gefährlichste, weil die Boote im plötzlich aufkommenden Nebel auf Nimmerwiedersehen verschwinden konnten. Wenngleich die kleinen Doris zart und zerbrechlich wirkten, waren sie doch überaus tragfähig und stabil auf dem Wasser.

Besatzung einer Doris beim Fang.
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Die Konservierung

Die so gefangenen Fische wurden sodann an Bord des Schiffes gebracht, dort ausgenommen und im Laderaum in Salz gebettet, um sie als Klippfisch zu konservieren. Eine andere Methode der Konservierung bestand darin, die Fische unmittelbar nach ihrem Fang an Land in der Sonne und dem Wind auf Stöcken und Holzgestellen als Stockfische zu trocknen. Dort, wo diese Technik betrieben wurde, entstanden in den Sommermonaten kleine Siedlungen an der Küste von Neufundland, in denen die Fischer ausharrten, bis sie ihren Fang in die Heimat zurück bringen konnten.

Leiden

Das Leben der Neufundlandfischer in der Fangsaison war überaus hart. Auf ihren Schiffen litten sie über Monate hinweg unter der beständigen Kälte und Feuchtigkeit. Nicht nur ihre von der Arbeit und dem Salz zerrissenen und wunden Hände waren ständigen Schmerzen ausgesetzt, sondern ihr ganzer Körper wurde stets bis an die Grenze des Erträglichen beansprucht. Bei Kankheiten oder Verletzungen gab es auf den Schiffen keine ärztliche Hilfe.

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Auch wenn romantische Anwandlungen gerne das kameradschaftliche Verhältnis unter den Seeleuten in den Vorderund stellen, ist es nicht zu leugnen, daß besonders die jungen Matrosen, die häufig nicht älter als 14 oder 15 Jahre waren, gelegentlich unter den Brutalitäten ihrer älteren Kameraden zu leiden hatten.

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Bei all dieser körperlichen Beanspruchung und der hinzukommenden psychischen Belastung durch die monatelange Trennung von den Familien und der beständigen Gefahr, eines plötzlichen oder qualvollen Endes in den kalten Tiefen des Meeres, wundert es nicht, daß daß die Männer vorzeitig alterten, so daß ein Dreißigjähriger oftmals einem Greis glich, und daß viele von ihnen dem Alkohol verfielen.

Die Winterzeit

Nach der Rückkehr der Schiffe im Oktober, verbrachten sie den Herbst und Winter dicht aneinander gedrängt im Hafen von La Houle. Ihre Mannschaften verdingten sich in dieser Zeit auf den Booten der Küstenfischerei und mit dem Austernfang auf den Bisquines in der Bucht, um sodann im nächsten Frühjahr wieder nach Neufundland aufzubrechen.

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Die Terre-Neuviers im Winterhafen von La Houle.
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Rekrutierung

Die Anwerbung der Mannschaften für die Schiffe fand nicht nur in Cancale sondern im ganzen Ille-et-Vilaine und an den benachbarten Küstenstrichen statt. Dennoch rekrutierte sich mehr als die Hälfte der Schiffsmannschaften aus Cancale, wobei die Kapitäne fast ausschließlich Cancalaiser waren.

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Nach dem Fang im Hafen von La Houle.
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Werften und Schiffsausrüster

Der Fischfang vor Neufundland brachte nicht nur für die Cancalaiser Seeleute Arbeitsplätze sondern spielte auch für das Wirtschaftsleben in der Stadt eine wichtige Rolle. Am Strand von La Houle entstanden Werften, in denen zahlreiche der großen Neufundlandsegler gebaut wurden. Die Schiffe mußten ausgerüstet werden, wozu es Unternehmen bedurfte, in denen Segel und Takelagen gefertigt wurden. Auch Schmieden waren vonnöten, um den Ausrüstungsbedarf zu stillen. Schließlich mußte aber auch für den Proviant der Seeleute gesorgt werden, so daß eine ausreichende Anzahl von Fleischereien, Bäckereien und sonstigen Geschäften benötigt wurde. All dies führte zu einem außergewöhnlichen Aufschwung der Handwerksbetriebe und des Handels im alten Cancale.

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Die Werften von La Houle.
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Spärlicher Sold

Welche Bedeutung der Kabeljaufang vor Neufundland für Cancale hatte, zeigen die Aufzeichnungen für das Jahr 1909, nach denen 44 Schiffe mit fast 1300 Männern aus Cancale zum Fang ausliefen. Es liegt nahe, daß bei einer solchen Anzahl von Seeleuten der Lohn gering ausfallen mußte, zumal von dem Erlös des Fangs zunächst ein Drittel an den Schiffseigner ging und ein weiteres Drittel für erforderliche Arbeiten an dem Schiff vorbehalten wurde. Das restliche Drittel wurde nach unterschiedlichen Anteilen zwischen den Männern der Schiffsbesatzung aufgeteilt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verdiente ein einfacher Matrose während der gesamten Fangsaison von fast 8 Monaten nur ungefähr 600 bis 700 Francs, wohingegen ein Kapitän immerhin zwischen 10000 und 12000 Francs einstreichen konnte.

Streik!

Der spärliche Verdienst der Matrosen reichte nicht aus, um ihren Familien einen gesicherten Unterhalt bieten zu können. Die Einsicht, von den Schiffseignern ausgebeutet zu werden, führte schließlich dazu, daß sich die Matrosen um 1910 zu organisieren begannen, um für eine bessere und gerechtere Besoldung zu kämpfen. Nach einer Kundgebung im Februar 1911, an der ungefähr 2000 Demonstranten teilnahmen, und einem Boykott, durch den das Auslaufen der Schiffe im März zunächst verhindert wurde, waren die Schiffseigner gezwungen, auf einen Teil der Forderungen der streikenden Seeleute einzugehen. Als Reaktion auf die Streikbereitschaft der Cancalaiser zogen sie es dann jedoch nach der Rückkehr der Schiffe im Herbst 1911 vor, an Stelle von La Houle die Küste vor Saint Malo als Winterhafen zu wählen.

Das Ende der Terre-Neuviers

Auch wenn in den folgenden Jahren die Schiffe wieder nach Cancale zurückkehrten, näherte sich die Zeit der Cancalaiser Neufundlandfischerei ihrem Ende. Der erste Weltkrieg und der Einzug der modernen Fischkutter taten das ihre zum Niedergang der Terre-Neuvas bei.

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Im Jahr 1929 zogen die beiden letzten Schiffe, die in Cancale gebaut worden waren, zum Fang vor Neufundland aus. Acht Jahre später, am 12. Mai 1937, verließ das letzte Neufundlandschiff, das im Hafen von La Houle überwintert hatte, Cancale. Damit fand die 400 Jahre alte Tradition der Terre-Neuvas von Cancale ihr Ende.


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